II. Blicke auf Kunst
Klassiker & Moderne
Filme über Kunst sind immer auch Filme über Wahrnehmung. Kunst unserer Zeit I: Skulptur (D 1959, 14′) zeigt moderne Plastiken der Kasseler documenta II, aufgestellt in den grünen Parklandschaften der Aue und vor den Mauern der im Krieg zertrümmerten Orangerie, angeschaut von Besuchern. Die Kamera weiß Plastizität zu entfalten, fährt in kurzen Travellings um die Skulpturen herum (Henry Moore), dreht sie auf Tellern (Alberto Giacometti) und lässt kinetische Kunst im schwarzen leeren Raum schweben (Alexander Calder). Kunst unserer Zeit II: Malerei (D 1960, 14′) zeigt die moderne Malerei der Documenta II als rauschendes Farbfest. Der Kommentar erklärt den in der NS-Zeit von der internationalen Kunstentwicklung abgeschnittenen Deutschen die abstrakte Kunst. So mahnt er z.B. an Krieg und apokalyptisches Grauen bei Pablo Picasso und präsentiert in einem Crashkurs zeitgenössische Arbeiten von Max Ernst, Hans Hartung, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Wilfredo Lam und Jackson Pollock – stets untermalt mit elektronisch futuristischen Klängen Oskar Salas. Noch zehn Jahre zuvor hatte Ehrhardt die Skulpturen des NS-verfemten Künstlers Ernst Barlach nur im schwarzen leeren Raum gefilmt und mit Klassik vertont: Ernst Barlach I – Der Kämpfer (D 1948, 15′) mit Peter Tschaikowskij, und Ernst Barlach II – Der Überwinder (D 1948, 15′) mit Anton Bruckner. In einen Raum von absolutem Charakter wirken sie als ewige und zeitlose Kunstwerke, nicht kontaminiert durch Umfeld (Kirchenraum) oder Geschichte (Abbau der Skulpturen durch die Nazis). Archaisch-religiös wirkt ebenfalls die Darstellung der Passionsgeschichte in Ad Dei Honorem (D 1948, 15′) über Hans Brüggemanns Bordesholmer Altar im Dom zu Schleswig. Der Stil dieser direkten Nachkriegswerke ist wohl als Dokument der Distanz und Verunsicherung Ehrhardts zu lesen: Nur die zeitlose Kunst hatte sich im Krieg nicht kompromittiert und ist das Einzige, dem man noch vertrauen könne.
Wir danken der Alfred Ehrhardt Stiftung für die Möglichkeit, die Filme bei uns im Kino zeigen zu können.
Die Präsentation der Kurzfilme wird begleitet durch einen Vortrag des freien Filmemachers und Publizisten Thomas Tode.
Thomas Tode arbeitet in Hamburg als freier Autor, Kurator (u.a. Hamburger Kinemathek, Cinepolis – Architektur & Stadt im Film) und Filmemacher. In seiner Forschung und Lehre (Universitäten Hamburg, Bochum, Zürich und Wien) beschäftigt er sich mit dem Essayfilm, der sowjetischen Avantgarde und dem politischen Dokumentarfilm. Ein besonderes Interesse gilt Filmen über Architektur, Archäologie und „Umerziehung“.
Zu den von Tode kuratierten Filmprogrammen, Symposien und Ausstellungen gehören „Angesichts des Äußersten: Die Filme über die Befreiung der Konzentrationslager und der lange Schatten der Bilder“ (Univ. Hamburg, 2015), „Die erwartete Katastrophe. Luftkrieg und Städtebau 1940-45“ (Freie Akademie der Künste Hamburg, 2013), „PhotoFilm!“ (National Gallery of Art Washington, 2012; Tate Modern London, 2010) und „bauhaus & film“ (Barbican Centre London, 2012; Weimar, Dessau, Berlin, Hamburg 2009), für die er verloren geglaubte Film- und Lichtinstallationen von Bauhaus-Künstlern aufspürte